Ins Unbekannte zielen (Was ich machte anstatt mir Ziele zu setzen)

Vor einigen Tagen hatte ich ein Gespräch mit einem jungen Mann, der im Business-Kontext arbeitet.
Er fragte mich, wie ich dahin gekommen bin, wo ich heute beruflich stehe.
“Was waren die Ziele, die du dir im Leben gesetzt hast, um da hinzukommen?”

Er war von meiner Arbeit angetan und wollte sich inspirieren lassen, wie man beruflich erfolgreich sein kann, dabei aber seiner Leidenschaft und einem Gefühl von Sinnhaftigkeit folgt.

Meine erste Antwort war eher eine Enttäuschung: “Ich habe nichts davon geplant.”

Ich habe in meinem Leben oft versucht, mit den klassischen Methoden zu arbeiten, wo man sich ein Ziel setzt, definiert und dann dafür geht. Diese Prinzipien sind erprobt und wirksam.

Ich weiß dass ich sehr zielstrebig und willensstark sein kann, wenn es um die Umsetzung von gesteckten Zielen geht.

Wenn ich diese Methoden verwendet habe, haben sie aber zu mehr Enttäuschung, Frustration, oder noch schlimmer, zu Selbstzweifeln geführt.

Meine Antwort, nichts davon geplant zu haben, war nicht nur enttäuschend, sondern er hat mir zuerst mal einfach nicht geglaubt.
“Das gibt es nicht! Was hast du denn stattdessen getan, wenn du dir keine Ziele gesetzt hast?”

Ich fand die Frage selber interessant, und nahm mir Zeit darüber nachzudenken.
Dabei kam mir eine Metapher, die dem nahekommt, wie ich mich in diesem Prozess erlebe.

Ich würde es als “Ins Unbekannte zielen” bezeichnen.

Stell dir vor, du bist kurz davor, einen Pfeil abzuschießen.
Der Pfeil steht für deinen Fokus und deine Bewegung im Leben.

Wenn dein Bogen gespannt ist, musst du irgendwohin zielen, sonst macht die gesamte Bewegung keinen Sinn.

Meiner Erfahrung nach hast du aber nicht immer ein klar definiertes Ziel vor Augen.
Manchmal gibt es einfach noch nicht den einen Punkt auf der Zielscheibe deines Lebens, auf den du dich fokussieren kannst, aber es gibt ein Gefühl in welche Richtung es geht.
Das bedeutet nicht, dass du deine Pfeile einfach wahllos in alle Richtungen schießt.

Äußere Ziele – wie du sie im klassischen Coaching setzen würdest – sind gut, wenn sie im Einklang mit deinem Inneren Selbst sind.
Sie können aber auch eine Ablenkung oder eine Strategie sein, die uns weiter weg von unserem tieferen oder wahrem Selbst bringt.

Meine Praxis besteht darin, nicht ausschließlich einer äußeren Orientierung zu folgen, etwas von dem mein Verstand denkt, dass ich es will.

Ich lasse mich von einer tieferen Resonanz führen, geleitet von meinen Herzenswünschen.

Das hat nichts mit Positivem Denken zu tun, sondern ist eine radikale Orientierung dem zu folgen, was mich tief berührt.
Das kann sich anfühlen, als würdest du ins Leere zielen, weil die Form dessen, wonach du dich sehnst, noch nicht klar ist.
Die tieferen Wünsche in uns sind oftmals zuerst noch “ungeformt”.
Gleichzeitig bist du innerlich in der Lage, es zu fühlen und dich danach zu orientieren.

An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass diese Praxis viel Disziplin, Mut und tägliche Übung braucht.
Gleichzeitig sich in der Realität des täglichen Lebens zu verankern und im Inneren damit verbunden zu bleiben, was dich tief bewegt.

Das ist keine Tagträumerei, oder das Vermeiden der anstrengenden und manchmal langweiligen Dinge, die dich langfristig zu einer kompetenten und verlässlichen Person reifen lassen.

Zusätzlich habe ich über die Jahre hinweg gelernt, dass es in diesem Prozess – in das Unbekannte zu zielen – hilfreich ist, auch nach dem Ausschlussprinzip vorzugehen.

Manchmal weißt du noch nicht, was du wirklich willst, aber du kannst aufhören, Dingen zu folgen, die du nicht möchtest.

Dazu braucht es aber die innerliche Erlaubnis, alle möglichen Fehler zu machen, falsch abbiegen zu dürfen, ohne dabei aufzugeben, verbittert oder wütend zu werden.

Erlaube dem Leben, dir den Weg zu weisen.

Lerne aus Fehlern und bleib dabei neugierig und offen.

Indem du lernst, was nicht dein Ziel ist, kommst du dem Kern immer näher.

Dieser wahre Kern ist schwarz, leer und wird für immer unsichtbar bleiben.

Das bedeutet es, in die Leere zu zielen.

Diese Leere ist nicht die Abwesenheit von etwas, das ist keine Absenz. Dieser Kern ist kein schwarzes Loch.

Es ist pure Potentialität, Energie, die noch keine konkrete Form angenommen hat.

Sie kann dadurch noch zu jeder Form im Leben werden. Es ist wie pure und unendliche Kreativität.

In diesem Prozess wirst du immer wieder einen starken Impuls spüren, dich von diesem Kern abzuwenden und auf etwas Bekanntes zu zielen.
Etwas, was dein Verstand bereits kennt und dir Sicherheit vermittelt.
Du könntest dann denken, dass du weißt, was du willst.

Wenn du das allerdings machst, reduzierst du das Potential dessen, was alles passieren kann.
Du reduzierst die schöpferische Kraft deines Lebens auf das, was du bereits kennst.

Wenn du dem Impuls widerstehen kannst, wird dein Leben intensiver, abenteuerlicher, unvorhersehbarer und definitiv kreativer werden, als sich dein Verstand das jemals vorstellen konnte.

Ich habe mich über die Frage dieses jungen Mannes gefreut, weil sie mir die Gelegenheit gegeben hat, Worte für etwas zu finden, was sich schon lange als Praxis in meinem Leben anwende.

Ich hoffe, dass du auch das findest, was dir dabei hilft, dich mehr mit den tiefen Wünschen deines Herzens zu verbinden!